Die deutsche Wirtschaft eilt von Rekord zu Rekord: Die Arbeitslosigkeit ist auf einem Tiefstand angekommen, die Zahl der Erwerbstätigen so hoch wie nie. Der Staat profitiert davon in einzigartiger Weise: Seit Jahren ist der Staatshaushalt ausgeglichen, weil die Steuereinnahmen sprudeln. Die Schuldenbremse kann problemlos eingehalten werden.
Ganz anders sieht es in einem Bereich aus, der für die Wirtschaft von morgen von zentraler Bedeutung ist: in der schulischen Bildung. Die am 13. Oktober 2017 vorgestellte Studie des „Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen“ (IQB) zeitigt ernüchternde Resultate: 30.000 Grundschüler der vierten Klasse aus mehr als 1.500 Schulen wurden in Deutsch und Mathematik getestet. In beiden Fächern fallen die Ergebnisse zum Teil deutlich hinter die Resultate von 2011 zurück. In der Rechtschreibung erreichen nur 55 Prozent der Schüler den Mindeststandard gegenüber 65 Prozent im Jahr 2011. In Mathematik sind es 62 Prozent im Jahr 2016 gegenüber 68 Prozent im Jahr 2011. Diese schlechten Ergebnisse sind deshalb verwunderlich, weil andere Studien – vor allem die PISA-Studie der OECD – unseren Schülern von Mal zu Mal bessere Leistungen attestiert haben. Die schlecht getesteten Grundschüler werden bald in der Sekundarstufe I sitzen und dann auch für schlechtere PISA-Ergebnisse sorgen, wenn jetzt nicht entschieden gegengesteuert wird.
Wie ist diese Verschlechterung der Grundschulleistungen zu erklären? Die Kultusminister waren nach Vorstellung der Studie schnell mit einer griffigen Erklärung für den Leistungsabfall zur Hand. Schuld sei die zunehmende Heterogenität in den Schulklassen. Sie resultiere aus der Zunahme des Ausländeranteils unter den Schülern von 35 Prozent im Jahr 2011 auf 43 Prozent im Jahr 2016. Dass dies eine reine Schutzbehauptung ist, kann man leicht beweisen. Es genügt ein Blick auf die Ländertabelle.
Bayern belegt in Deutsch und Mathematik mit großem Abstand den ersten Platz. An zweiter Stelle kommt Sachsen. Abgeschlagen am Ende der Tabelle liegen Bremen und Berlin. Bayerische Großstädte wie München, Nürnberg, Ingolstadt und Augsburg haben einen ebenso großen Ausländeranteil wie Bremen und Berlin. Trotzdem liegt Bayern an die Spitze. Auch hessische Großstädte wie Frankfurt, Offenbach, Kassel haben einen hohen Ausländeranteil. Und Hessen liegt im Ländervergleich an vierter Stelle.
Was an den Schulen schief läuft, kann man am Beispiel Baden-Württembergs studieren. Dort nahm im Jahr 2011 – also zum Zeitpunkt der ersten Erhebung des IQB – die grün-rote Landesregierung die Arbeit auf. Damals lagen die Grundschüler aus Baden-Württemberg noch an zweiter Stelle der Ländertabelle. Die neue Regierung krempelte das Schulsystem radikal um, indem sie von der Grundschule bis in die Sekundarstufe I die egalitäre Komponente stärkte (z.B. durch die Gründung von Gemeinschaftsschulen). Sie griff sogar in die Didaktik des Unterrichts ein, indem sie dem „Frontalunterricht“, also dem vom Lehrer gelenkten Unterrichtsgespräch, auf breiter Front den Kampf ansagte. Schülerzentrierte Lernmethoden wurden vorgeschrieben. Das gelenkte Unterrichtsgespräch, das immer noch die effektivste Lernmethode darstellt, war als „Methode von gestern“ verpönt. Wer einmal in einer heterogenen Lerngruppe mit hohem Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund unterrichtet hat, weiß, wie wichtig ein strukturierter Unterricht ist, der die Schüler an die Hand nimmt und ihnen durch eine enge Leitung zu Lernfortschritten verhilft. Die modischen Selbstlernmethoden nützen nur den guten Schülern, vor allem denen, die im Elternhaus Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit gelernt haben. Kinder der deutschen Unterschicht und der Migrantenschicht benötigen hingegen die helfende Hand des Lehrers. Wer sie ihnen durch die Bevorzugung ideologisch präferierter Lernmethoden verweigert, muss sich nicht wundern, wenn die Lernergebnisse schlecht ausfallen. Soziale Gerechtigkeit verkehrt sich damit in ihr Gegenteil. Wenn immer mehr Schüler keinen Schulabschluss schaffen, ist das die höchste Form von Ungerechtigkeit.
Noch ein anderes Länder-Beispiel gibt zu denken. Hamburg, auch ein Stadtstaat mit hohem Ausländeranteil, hat sich seit der Studie 2011 aus der Schlussgruppe auf Platz 12 der Ländertabelle hinaufgearbeitet. Die Studienleiterin des IQB, Petra Stanat, führt das darauf zurück, dass die Hamburger Schulbehörde nach dem schlechten Abschneiden im Jahr 2011 ein engmaschiges System der Evaluation eingeführt hat. Jede Schule bekommt einmal im Jahr Besuch von der Schulverwaltung und muss einen Statusbericht vorlegen. Gemeinsam wird dann überlegt, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Defizite auszugleichen und die Leistungen der Schüler zu verbessern. Ein solches Qualitätsmanagement wäre den Schlusslichtern Bremen und Berlin dringend anzuraten. Bremen sieht anscheinend keinen Handlungsbedarf. Vor sechs Jahren hatte sich Bremen noch gegen einen Vergleich der Rechtschreibleistungen im Bundesgebiet gewehrt. Lieber „Augen zu durch!“ als die Aufarbeitung der Probleme und die Beseitigung der Mängel.
Berlin teilt sich in den verschiedenen Disziplinen mit Bremen die beiden letzten Plätze. Düster sieht es in der Orthographie aus. Während bundesweit jeder fünfte Schüler nicht die Mindestanforderungen beherrscht, ist es in Berlin jeder dritte. Das Berliner Gymnasium, an dem ich lange unterrichtet habe, bekam Schüler aus über zehn Grundschulen „geliefert“. In den siebten Klassen konnte man schnell erkennen, welche Grundschule verbindlich und gründlich gearbeitet hat. Ihre Schüler besaßen das elementare Wissen und die Fertigkeiten, die für die gymnasiale Ausbildung unverzichtbar sind. Schüler anderer Grundschulen hingen hingegen weit zurück. Von fundierten Grundlagen konnte man bei ihnen nicht reden. Wie kommt es zu solchen Diskrepanzen? Es gibt Grundschulen, die stark den spielerischen Charakter des Lernens betonen. Sie wollen die Kindlichkeit der Schüler so lange wie möglich bewahren und drängen dabei das Leistungsprinzip zurück. Das Berliner Schulgesetz kommt ihnen dabei entgegen, indem es den Schulen gestattet, bis zur 5. Klasse auf Noten-Zeugnisse zu verzichten. Verbale Beurteilung sind in den beiden ersten Klassen der Grundschule durchaus angebracht. Ab der dritten Klasse sollten die Schüler und ihre Eltern jedoch erfahren, was die Leistungen wirklich wert sind. Berlin hat das Jahrgangsübergreifende Lernen als Regel eingeführt, bei dem Schüler der ersten beiden Klassen gemeinsam unterrichtet werden. Schulleiter haben schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass dieses Prinzip in Schulen mit einem hohen Migrantenanteil nicht praktikabel sei, weil die Unterschiede in den Lernvoraussetzungen zu groß seien. Berlin sollte dieses Prinzip dringend auf den Prüfstand stellen, um herauszufinden, ob die mangelhaften Resultate der Viertklässler bei der Studie des IQB auf dieses Lernprinzip zurückzuführen sind. Auch fragwürdige Leselernmethoden wie das „Schreiben nach Gehör“ sollten auf ihre Tauglichkeit überprüft werden.
Im katholischen Bayern sind Pilgerfahrten zur inneren Einkehr heute noch üblich. Vielleicht sollten die Bundesländer, die bei der IQB-Studie schlecht abgeschnitten haben, eine pädagogische Pilgerfahrt ins gelobte Bildungsland Bayern unternehmen. Es muss doch möglich sein, von dem Land etwas zu lernen, das seit Jahren bei allen schulischen Leistungsstudien beharrlich den ersten Platz belegt. Von den Bayern lernen, heißt siegen lernen.