Seit meiner Pensionierung vor sieben Jahren habe ich an acht Berliner Gymnasien als Vertretungslehrer Deutsch und Geschichte unterrichtet. Die Deputate reichten von zwei Monaten bis zu einem ganzen Jahr. Auch Abiturprüfungen hatte ich abzunehmen. Die Schulen erstreckten sich über sechs Bezirke – von Tempelhof mit seiner gemischten Sozialstruktur bis Zehlendorf, wo überwiegend gutsituierte Bürger wohnen. Das Profil der Schulen reichte von Musikbetonung bis zu naturwissenschaftlicher Ausrichtung. Baulicher Zustand und Ausstattung der Schulen waren sehr unterschiedlich. Ich traf auf Schulen, die völlig auf digitale Smartboards umgestellt hatten, während andere noch in der „Kreidezeit“ verharrten. Das PC-Equipment war fast überall nicht auf dem neuesten Stand, die Rechner in den Klassenzimmern liefen noch mit Windows XP oder 7, was das Einloggen zur Geduldsprobe machte. Weiterlesen
Monatsarchiv: Februar 2019
Ohne Noten ist die Schule mangelhaft
Veröffentlicht am 10. Febr. 2019 in der WELT AM SONNTAG
In einigen Bundesländern können an Grundschulen statt der Beurteilung von 1 bis 6 auch Berichtszeugnisse verfertigt werden. Kann und soll man die tiefe kulturelle Verankerung der Noten überwinden?
Noten gehören zur Schule wie der Bohrer zur Zahnarztpraxis und das Skalpell zum Operationssaal. So lautet die landläufige Meinung. Es gibt nur wenige Ausnahmen vom üblichen Ziffernzeugnis von 1 (sechs) bis 6 (ungenügend). In einigen Bundesländern ist es inzwischen den Grundschulen freigestellt, ob sie Noten- oder Berichtszeugnisse vergeben wollen. Schleswig-Holstein hatte als erstes Bundesland eine solche Regelung eingeführt. Die Resonanz der Grundschulen blieb jedoch hinter den Erwartungen der damaligen rot-grünen Regierung zurück. Nur 13,5 Prozent der Grundschulen nutzen die neue Entscheidungsfreiheit. Fragt man nach den Ursachen für das Beharrungsvermögen der Schulen, stößt man immer wieder auf das gleiche Argument: Die Eltern wünschen sich Zensuren, weil sie an ihnen am besten ablesen können, wo ihr Kind steht. Das wird vor allem in der vierten Klasse (in Berlin ist es die sechste) wichtig, weil dann die Entscheidung ansteht, auf welche weitergehende Schule das Kind gehen soll. In einigen Bundesländern ist der Zugang zum Gymnasium von einem guten Notenschnitt abhängig. Der ist aber an die Ziffern von 1 bis 6 gebunden. Weiterlesen
Thomas Mann als Bildungsexperte
Veröffentlicht in der Tageszeitung DIE WELT am 23. 02. 2019
Der Schöpfer großartiger Romanfiguren formuliert en passant verblüffende pädagogische Einsichten, die auch heute noch ihre Gültigkeit besitzen. Etwa jene, dass man Schüler besser über- als unterfordern sollte.
Jeder Thomas-Mann-Freund kennt das berühmte Kapitel 11 aus seinem Erfolgsroman „Buddenbrooks“ (1901), in dem er das Leiden des kleinen Johann („Hanno“) Buddenbrook an der wilhelminischen Schule erzählt. Der feinsinnige, künstlerisch begabte Knabe durchschaut die Hohlheit des Pauksystems und verachtet die Lehrkräfte, die ihre Autorität nur mit Hilfe ihres Amtes und der damit verbundenen Strafgewalt aufrecht erhalten können. Weniger bekannt sind die Passagen aus dem Roman „Doktor Faustus“ (1947), die sich mit Pädagogik befassen. Der Komponist Adrian Leverkühn verschreibt sich dem Teufel, der ihm 24 Jahre höchster Produktivität im musikalischen Schaffen verspricht. Als Gegenleistung muss er darauf verzichten, Menschen zu lieben, weil er hinfort mit Kälte geschlagen sein wird. Weiterlesen
Schummeleien in der Doktorarbeit
In den letzten Jahren haben verschiedene Politiker ihren Doktortitel verloren, weil ihnen „Unsauberkeiten“ bei der wissenschaftlichen Arbeit, teilweise auch offene Plagiate nachgewiesen werden konnten. Darunter waren auch zwei Bundesminister: Baron zu Guttenberg, Annette Schavan. Beide Politiker haben mit dem Titel nicht nur ihren guten Ruf, sondern auch ihre politischen Ämter verloren. Jetzt ist auch die Doktorarbeit von Franziska Giffey ins Visier der Recherche-Plattform „VroniPlag Wiki“ geraten. Sie will bei 140 Sätzen der Arbeit unsaubere oder falsche Zitierweisen entdeckt haben. Als Deutschlehrer ärgere ich mich immer wieder aufs Neue über solche Schummelmeldungen. Jeder Schüler am Gymnasium bekommt zu Beginn der Gymnasialen Oberstufe erklärt, wie man wissenschaftliche Arbeiten verfasst. Dabei wird erläutert, wie man mit fremden Meinungen umgeht, die man in der eigenen Arbeit verwerten möchte. Das direkte (mit Anführungszeichen) und das indirekte Zitieren (im Konjunktiv I), beides mit Verweis auf die Quelle werden eingeführt und an Beispielen geübt. Jede Schülerarbeit wird abgewertet, wenn Verstöße gegen die intellektuelle Redlichkeit nachweisbar sind. Bei gehäuften Verstößen wird die Arbeit als „mangelhaft“ gewertet. Facharbeiten, die zu Hause verfasst werden dürfen, werden mit einer speziellen Software auf Plagiate überprüft. Dieselben strengen Sitten gelten auch an der Universität. Warum fallen den Doktorvätern und -müttern dann selbst grobe Verstöße gegen die Zitierregeln nicht auf? Warum müssen erst private Prüfinstanzen, die hobbymäßig unterwegs sind, solche Fehler aufdecken? Weiterlesen
Eingeordnet unter Ricchtiger Umgang mit der Sprache
Schule als Gefahrenzone
Der Beitrag wurde veröffentlicht in der WELT vom 06. 02. 2019.
Mobbing ist fatal. Schreitet niemand ein, können die Schikanen unter Kindern im schlimmsten Fall für Lebensüberdruss sorgen. Dabei gibt es für Lehrer bewährte Methoden, die Klasse zu befrieden.
Vor kurzem starb ein 11-jähriges Mädchen, das eine Berliner Grundschule besucht hatte. Dem „Tagesspiegel“ zufolge soll es einen Suizidversuch unternommen haben und später an den Folgen im Krankenhaus gestorben sein. Das Mädchen soll zuvor in ihrer Klasse von Mitschülern verbal und körperlich attackiert worden sein. Eltern aus der Klasse berichteten, dass Lehrer und Schulleitung auf das Problem schon lange vorher aufmerksam gemacht worden seien. Sie hätten jedoch abgewiegelt, weil doch alles nicht so tragisch sei. Ein fataler Irrtum. Mobbing ist für die Betroffenen immer tragisch. Es führt zu Angst, Ohnmachtsgefühlen und schließlich zu Lebensüberdruss. Es ist nur schwer nachzuvollziehen, dass eine Institution, der die Eltern ihre Kinder tagtäglich anvertrauen, deutliche Hinweise auf Mobbing nicht ernst nimmt. Weiterlesen