Veröffentlicht in DIE WELT vom 19. 12. 2018
Jeden Tag machen sich von der Öffentlichkeit unbemerkt an den Schulen unserer Republik Lehrkräfte ans Werk, um ihren Schülern eine Leitkultur zu vermitteln. Sie dient dem friedlichen Zusammenleben im Kosmos Schule, der in unseren Großstädten von Kindern aus über 50 Nationen „bevölkert“ wird. Sie dient aber auch der Festigung von Werten, ohne die ein zivilisiertes Miteinander in der Gesellschaft nicht möglich wäre. Die Lehrkräfte tun dies, ohne auch nur eine Sekunde lang an die ideologisch aufgeladene Debatte um eine „deutsche Leitkultur“ zu denken. Das Wort „deutsch“ spielt bei der in der Schule vermittelten Kultur eine untergeordnete Rolle. Außer in den Fächern Deutsch und Geschichte gehören die Stoffinhalte der gymnasialen Fächer zum Weltwissen: die Sprachen, Mathematik, die Naturwissenschaften, Musik und Kunst. Selbst im Fach Geschichte ist die deutsche Nationalgeschichte in die Weltgeschichte eingebettet. Wenn Lehrkräfte kulturelle Werte vermitteln, ist ihnen bewusst, dass eine solche Werteerziehung in erster Linie der Persönlichkeitsbildung der Schüler dient. Denn nur starke Persönlichkeiten sind in der Lage, im Strudel des Lebens ihren Mann oder ihre Frau zu stehen. Man denke an Goethes Lobpreis auf die Persönlichkeit aus seinem Gedichtzyklus „Westöstlicher Diwan“: „Höchstes Glück der Erdenkinder / Sei nur die Persönlichkeit.“ Goethe war der Meinung, dass der Wesenskern der Persönlichkeit in jedem Menschen schon von klein an angelegt sei, er müsse nur durch die helfende und leitende Hand des Pädagogen zum Erblühen gebracht werden. „Werde, der du bist!“ – Dieses Wort von Friedrich Nietzsche wurde zum Leitfaden einer Pädagogik, die die Kinder nicht mehr nach den Regeln der Gesellschaft modeln, sondern ihnen den Weg ins Offene, in eine freie Selbstbestimmung zeigen wollte. Weiterlesen