Monatsarchiv: September 2021

Tätige Reue ist gefragt

Über Menschen, denen man Jugendverfehlungen vorwerfen kann, sollte man nicht ein für alle Mal den Stab brechen. Man muss allerdings von ihnen verlangen, dass sie ihre Taten in Wort und Tat bereuen.

Der Fall der palästinensischen Ärztin Nemi El-Hassan spaltet momentan die öffentliche Meinung. Von „Hosianna“ bis „Kreuziget sie!“ reichen die Pendelausschläge der Meinungen. Ich möchte mich der Sache von der Seite der Pädagogik her nähern. Als Nemi El-Hassan im Jahr 2014 in Berlin an der antisemitischen al-Quds-Demonstration teilnahm und sich auch in islamistischen Kreisen bewegte, war sie Abiturientin, also 19 Jahre alt. Sie hat ihr Abitur in der brandenburgischen Stadt Fürstenwalde abgelegt. Vor der Reifeprüfung kam sie im Unterricht zweimal mit dem Holocaust in Berührung.

Kalte Mechanik der Menschenvernichtung

In Brandenburger Schulen stehen in der 9./10. Klasse die Themen „Völkermord“, „Rassismus“ und „Nationalsozialismus“ auf dem Lehrplan. In der gymnasialen Oberstufe wird diese Thematik dann vertieft.    Das Menschheitsverbrechen „Holocaust“ wird ausführlich im Unterricht besprochen. Wie ich aus Erfahrung weiß, verweilen die Geschichtslehrer lange bei diesem Gegenstand, als wollten sie die Schüler für alle Ewigkeit immunisieren, nie mehr zuzulassen, dass Menschen jemals wieder so etwas Grausames angetan wird. In meinem Unterricht zeigte ich den Schülern die Filme „Bei Nacht und Nebel“ und „Schindlers Liste“. Als die Schüler die Bilder von Leichenbergen, die Berge von Schuhen, Brillen und Haaren der Opfer sahen, waren sie zutiefst erschüttert und aufgewühlt, einige Mädchen weinten. Es gab Schüler, die nach diesem Unterrichtserlebnis ihr Leben in neue Bahnen gelenkt haben. Einige zogen im Rahmen von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste für ein Jahr in einen israelischen Kibbuz, um durch tätige Mithilfe am Projekt Israel ein wenig von der Schuld der Generation der Großeltern zu tilgen. Andere wurden Mitarbeiter der Gedenkstätte Sachsenhausen und führten Touristen und Schulklassen durch das ehemalige Konzentrationslager.

Abgebrühte Reaktion einer Palästinenserin

Wie kaltherzig und mitleidlos muss eine Schülerin sein, wenn sie sich nach dem Holocaust-Erlebnis im Unterricht an einer Demonstration beteiligt, bei der „Juden ins Gas“, „Tod Israel“ und „Heil Hitler“ gerufen wird. Oder anders ausgedrückt: Wie tief muss die Identifikation mit dem palästinensischen Narrativ sein, wonach die Juden die Todfeinde der Araber sind und es nur gerecht wäre, wenn sie aus Palästina vertrieben würden.  Als Lehrer weiß ich, dass Jugendliche in politischen und gesellschaftlichen Konflikten häufig mit einem Gesinnungsüberschuss agieren. Für Differenzierung und Ausgewogenheit bleibt dann nur wenig Raum. Es braucht seine Zeit, bis aus einem rebellischen Hausbesetzer schließlich ein braver Mieter, aus einem militanten Greenpeace-Aktivisten ein moderater Naturschützer geworden ist. Wenn in der eigenen Vita dann noch ethnische Konflikte eine Rolle spielen, fällt eine selbstkritische Reflexion umso schwerer. Wenn man einer Flüchtlingsfamilie entstammt und die Eltern, Verwandten und Freunde einem immer einreden, sie verdankten ihr elendes Schicksal „den Juden“, findet Antisemitismus einen fruchtbaren Boden. Doch auch hier sollte man die Hoffnung auf Einsicht nicht gänzlich aufgeben.

Jüdische Schüler werden drangsaliert

In der öffentlichen Debatte über Nemi El-Hassan kam der gesellschaftliche Kontext, in dem sich Judenhass gegenwärtig vollzieht, kaum zur Sprache. Die al-Quds-Demonstration ist nämlich nur das alljährlich sichtbare Skandalon. Die alltägliche Verfolgung der Juden findet weitgehend ohne öffentliche Aufmerksamkeit statt. In staatlichen Schulen werden jüdische Schüler von ihren muslimischen Mitschülern beschimpft, bedroht und drangsaliert. Oft kommt es auch zu Tätlichkeiten. Wie alle deutschen Juden werden auch sie für die Politik Israels gegenüber den Palästinensern verantwortlich gemacht. Seit dem Gaza-Krieg 2014 ist die Vokabel „Kindermörder“ auf dem Pausenhof ein gängiges Schimpfwort für jüdische Schüler.  Die Schulen der Jüdischen Gemeinde, in deren Schoß sich verfolgte jüdische Schüler schließlich flüchten, gleichen inzwischen Hochsicherheitseinrichtungen. Sie werden genauso scharf bewacht wie die Schulen in Israel. Die Anti-Defamation-League, die sich dem Kampf gegen den Antisemitismus verpflichtet fühlt, hat in einer repräsentativen Umfrage herausgefunden, dass 56 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime antisemitische Neigungen hegen. Unter den Deutschen sind es 16 Prozent. Der anhaltende Zuzug von Flüchtlingen aus Nahost verstärkt dieses problematische Reservoir.

Wiedergutmachung durch tätige Reue

Nemi El-Hassan hat in der Öffentlichkeit nicht nur Kritik und Ablehnung erfahren. Es hat auch Sympathiebekundungen gegeben. Zuletzt haben ihr Hunderte Kulturschaffende und Wissenschaftler in einer Solidaritätsadresse beigestanden. Man solle ihr gegenüber Nachsicht walten lassen, so der Tenor, weil sie für die Fehler ihrer Vergangenheit „um Entschuldigung gebeten und ihren Wandel glaubhaft dargelegt“ habe. Nicht so recht passen will zu dieser Lesart der Umstand, dass sie ihre Sozial-Media-Einträge gelöscht hat. Hat sie doch etwas zu verbergen, was die Öffentlichkeit nicht wissen soll? Es gäbe eine Möglichkeit, wie sich Nemi El-Hassan öffentlich voll rehabilitieren könnte. Von der Reformpädagogik kennen wir den Grundsatz, dass man sich mit der Gemeinschaft, gegen deren Gesetze man verstoßen hat, wieder versöhnen kann, indem man sein Fehlverhalten wieder gutmacht. Wiedergutmachung ist besser als Reue, die allzu häufig nur verbal bleibt.

Botschafterin der Verständigung

Nemi El-Hassan könnte ihre Läuterung dadurch unter Beweis stellen, dass sie zusammen mit einem Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin oder der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Berliner Schulklassen über den Nahostkonflikt und über jüdisches Leben in Deutschland aufklärt und mit den Schülern diskutiert. Zielgruppe müssten Klassen sein, in denen ein hoher Anteil von Schülern muslimischer Religionszugehörigkeit anzutreffen ist. In den Berliner Bezirken Mitte, Kreuzberg, Spandau und Neukölln findet man solche Klassen. Den muslimischen Schülern sollte vermittelt werden, dass es einen dauerhaften Frieden in Palästina und ein menschenwürdiges Leben auch für die Palästinenser nur geben kann, wenn sie das Existenzrecht Israels anerkennen und der Gewalt abschwören. Auch die geschichtliche Wahrheit sollte zur Sprache kommen: Die Vertreibung der Palästinenser war die Folge des Krieges, mit dem Ägypten, Syrien, Irak, Jordanien und Libanon den frisch gegründeten Staat Israel im Mai 1948 überzogen hatten. Hätten die Araber damals den ihnen von den Vereinten Nationen angebotenen Staat akzeptiert, gäbe es die von der Politik  geforderte Zwei-Staatenlösung seit 73 Jahren. Wenn sich Nemi El-Hassan als Botschafterin des Friedens und der Verständigung bewährt hat, sollte einer Fortsetzung ihrer Karriere beim WDR nichts im Wege stehen.

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Der Wille zur „Einheitskost“

Nach Umfragen unter Eltern soll in der Schule vor allem Wert auf soziales Verhalten gelegt werden und auf gleiche Bildungschancen. Leistung in den Fokus zu stellen, unterstützt hingegen nur eine Minderheit. Warum ist es so wenig populär, im Bildungssystem am Leistungsgedanken festzuhalten?

Veröffentlicht auf CICERO-online am 9. 9. 2021

Wenn man an einem Berliner Gymnasium eine Eingangsklasse (7. Jg.) unterrichtet, erlebt man die Risiken und Nebenwirkungen einer heterogenen Schülermischung. In Berlin gilt für den Übergang von der Grund- zur Oberschule der Elternwille. Er führt dazu, dass die 7. Klassen eine Heterogenität aufweisen, die man üblicher Weise nur an der Gesamtschule findet. In meinem Deutschunterricht war die Diskrepanz zwischen den Schülern, die über einen elaborierten Sprachgebrauch verfügten, und denen, die Deutsch in nur sehr reduzierter Form sprachen, deutlich spürbar.  Als ich im Grammatikunterricht die Satzglieder durchnahm, verstanden die sprachgewandten Schüler die feinsten Unterscheidungen, wie z.B. die zwischen dem präpositionalen Objekt („ich verlasse mich auf deinen Rat“) und der adverbialen Bestimmung des Ortes („ich warte auf derBank“). Die schwachen Schüler kamen über das Verständnis der drei Satzglieder Subjekt, Prädikat und Objekt nicht hinaus. Notgedrungen begann ich den Unterricht zu differenzieren.

Klüfte zwischen Lernstarken und Lernschwachen

Während die schnellen Lerner Arbeitsbögen mit kniffligen grammatischen Problemen zu lösen bekamen, übte ich mit den langsamen Lernern geduldig das Genitiv-, Dativ- und Akkusativobjekt.  Auch in Mathematik tun sich zwischen lernstarken und lernschwachen Schülern riesige Klüfte auf. Die guten Schüler verstehen den Satz des Pythagoras nicht nur auf Anhieb. Mit ihnen kann der Lehrer sogar die mathematischen Beweise dieses Gesetzes besprechen. Die schwächeren Schüler müssen derweil lernen, woran man ein rechtwinkliges Dreieck überhaupt erkennt. Diese Unterrichtsbeispiele zeigen das Dilemma eines Unterrichts mit Schülern, die sich hinsichtlich ihres Vorwissens, ihrer Auffassungsgabe und ihres Abstraktionsvermögens stark unterscheiden. Ein Unterricht, bei dem alle Schüler an den gleichen Gegenständen arbeiten, ist kaum noch möglich. Binnendifferenzierung ist dann der einzige Ausweg. Mit dieser Didaktik beschädigt man jedoch die gymnasiale Unterrichtskultur, die stets auf Homogenität gesetzt hat. Es ist dringend geboten, das Gymnasium wieder zu stärken, indem man es leistungsmäßig von den integrativen Schulformen abgrenzt. Dem Elternwillen sollten dadurch Grenzen gesetzt werden, dass in zweifelhaften Fällen die betroffenen Schüler am Gymnasium einen Probeunterricht absolvieren müssen.

Leistungsstarke Schüler als Last

Schüler mit überragender Auffassungsgabe eilen ihren Mitschülern im Verständnis des Lernstoffes so schnell voraus, dass sich die Lehrkraft genötigt sieht, sie zu bremsen, damit sie nicht mit einer einzigen klugen Antwort das sorgfältig geplante und zeitlich getaktete Stundenziel „verraten“. Deshalb sind solche „Überflieger“ bei den Lehrern nicht unbedingt beliebt. Anstatt ihrem Wissensdrang das „Futter“ zu geben, nach dem er verlangt, versucht man sie immer wieder auf das langsame Lerntempo der Klasse zu verpflichten. Manche Lehrer empfinden die geistigen Höhenflüge solcher Schüler sogar als Kränkung. Von Hermann Hesse ist der Satz überliefert, ein Lehrer habe in seiner Klasse lieber zehn Esel sitzen als ein Genie („Unterm Rad“). Bei ihren Mitschülern führen die Geistesblitze der flinken Lerner häufig zu verbalen Anfeindungen, ja Aggressionen. „Streber“ und „Lehrerkind“ sind noch milde Formen der Ablehnung. Oft werden sie aus der Klassengemeinschaft ausgegrenzt oder nicht zu Freizeitaktivitäten eingeladen. Wenn ein solcher Schüler nicht über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein verfügt, wird er aus dem Drang heraus „dazuzugehören“ versuchen, seine Geistesgaben zu verstecken. Er schreibt dann absichtlich mal eine Drei, um sich dem akzeptierten Mittelmaß anzupassen. Es sind aber auch Fälle bekannt, dass intelligente Kinder durch das Mobbing der Klassenkameraden so zermürbt wurden, dass sie die Lust am Lernen gänzlich verloren haben. Von Psychologen mussten sie erst wieder mental „aufgebaut“ werden. An Schulen mit speziellen Fördermaßnahmen für lernstarke Schüler und einer Kultur der Akzeptanz intellektueller Leistungen haben sie dann wieder zu ihrem alten Leistungsvermögen und Wissensdrang zurückgefunden.

Feindbild Leistung

Umfragen unter Eltern ergeben seit Jahren ein eindeutiges Bild: In der Schule solle vor allem Wert auf soziales Verhalten gelegt werden (84 Prozent). Auch gleiche Bildungschancen für alle stehen hoch im Kurs (80 Prozent). Die Forderung, in der Schule müsse Leistung im Vordergrund stehen, unterstützt nur eine Minderheit (24 Prozent). Warum ist es so wenig populär, auch im Bildungssystem am Leistungsgedanken festzuhalten? Im Show-Business und im Sport gilt es als selbstverständlich, dass der Sieger oder die Siegerin im harten Ausscheidungswettbewerb ermittelt wird. Spitzenkönner werden wie Ikonen verehrt und in die Hall of Fame aufgenommen. Kein Mensch käme auf die Idee, in die deutsche Fußballnationalmannschaft einige Spieler aus der Kreisklasse aufzunehmen, damit der Chancengleichheit und der sozialen Gerechtigkeit Genüge getan wird.  Warum will man in der Bildung die „Einheitskost“, indem man diejenigen, die die Masse an Geistesgaben überragen, an der optimalen Entfaltung ihrer Anlagen hindert? Anscheinend ist es kränkender, weniger intelligent zu sein als weniger sportlich. Die Vertreter der Gleichheit in der Bildung können es nicht ertragen, dass ein Gut wie Intelligenz nicht gerecht unter den Kindern und Jugendlichen verteilt ist, weil der eine offensichtlich mehr von diesem kostbaren „Rohstoff“ abbekommen hat als der andere. Der Kampf um egalitäre Schulformen, der zum Kernbestand der Bildungspolitik vornehmlich linker Parteien und Verbände gehört, ist Ausdruck einer tiefsitzenden Kränkung darüber, dass es junge Menschen gibt, denen – unverdient – alles zufliegt, weil sie das Glück haben, in bildungsbeflissenen Elternhäusern heranzuwachsen, während andere – unverschuldet – in Milieus hineingeboren werden, die sie von Anfang an in ihrer geistigen Entwicklung benachteiligen.

Hochbegabte Schüler – eine missachtete Minderheit

Bisher war nur von „besonders begabten“ und „leistungsstarken“ Schülern die Rede. Es gibt aber noch eine weitere Gruppe von Schülern, die besondere Beachtung verdient: die Gruppe der Hochbegabten. Dazu ist ein kleiner Exkurs in die Intelligenz-Forschung vonnöten. Intelligenz ist ein von Wissenschaftlern geprägter Begriff. Er dient dazu, die kognitiven Fähigkeiten von Menschen zu messen. Das Denkvermögen von Menschen ist nicht direkt beobachtbar, wie z.B. ihre Größe oder ihr Gewicht. Es erschließt sich nur indirekt, indem man es testet und die Ergebnisse in eine mathematische Skala einträgt. Solche Intelligenztests haben ergeben, dass sich die Intelligenzquotienten in der Bevölkerung „normal“ verteilen. Sie lassen sich in der bekannten Glockenkurve, die der Mathematiker C. F. Gauß entdeckt hat, abbilden. Demnach besitzen 60 Prozent der Bevölkerung einen mittleren Intelligenzquotienten zwischen 85 und 115.  Nur 2 Prozent liegen mit ihrem Intelligenzquotienten unter 70. Aber 2 Prozent haben einen besonders hohen Intelligenzquotienten von über 130. Bei diesen Personen spricht man von Hochbegabung. Wenn man diese 2 Prozent auf die gegenwärtige Schülerpopulation in Deutschland umrechnet, kommt man auf die Zahl von 220.000 hochbegabten Schülern. Dies entspricht der Einwohnerzahl einer Stadt wie Mainz.

Das Profil der Hochbegabung

Bildungsexperten gehen davon aus, dass es in jeder Schulform solche außergewöhnlich begabten Schüler gibt, auch an Gesamtschulen. Oft kann man sie auf Anhieb nicht als solche erkennen. In ihrem Verhalten und ihren Vorlieben sind sie ihren Mitschülern nämlich ähnlicher, als frühere Studien vermuten ließen. Die Längsschnittstudie des Marburger Hochbegabtenprojekts von Professor Detlef Rost (Beginn der Erhebung: 1987) hat ergeben, dass es unter den hochbegabten Schülern solche mit herausragenden schulischen Leistungen, aber auch solche mit schlechten Schulnoten – sog. Minderleister – gibt. Ihre schlechten schulischen Leistungen resultieren oft daraus, dass die Pädagogen die besondere Begabung dieser Kinder nicht erkennen, ihr Verhalten im Unterricht mitunter als „störend“ missverstehen. Wenn diese Schüler weiterführende Fragen stellen, werden sie manchmal mit dem Satz abgespeist: „Das gehört jetzt nicht hierher.“ Irgendwann geben diese Schüler dann das Fragen auf.  Die Studie hat auch untersucht, welche Faktoren die positive Entwicklung Hochbegabter erleichtern. Dies sind eine auf Förderung und Ermutigung angelegte Umgebung des Kindes in den ersten Lebensjahren, eine früh beginnende gezielte fachliche Förderung, geeignete Rollenvorbilder, z.B. durch die Eltern oder Geschwister, und eine positive Bestätigung auch bei schwierigem oder schwer verständlichem Verhalten.

Vom richtigen Umgang mit hochbegabten Schülern

Warum sollte man in der Schule diese hochbegabten Schüler fördern? Zeigen nicht die Erfahrungen, dass sie ihre schulische Laufbahn auch ohne besondere Unterstützung meistern? Die Förderung der Anlagen dieser Kinder ist ein Gebot der Menschlichkeit. Jede Begabung verdient es, dass man sie gebührend entwickelt, indem man stimulierend und herausfordernd auf das Kind einwirkt.  Die Anlagen hochbegabter Schüler entwickeln sich nämlich keinesfalls von allein. Bei Musikern hat man beobachtet, dass aus einem „Wunderkind“ nur dann ein Spitzengeiger oder ein Spitzenpianist wird, wenn das Kind unter professioneller Anleitung einen beharrlichen Übungsfleiß – bei Virtuosen der Geige etwa 10.000 Übungsstunden – an den Tag gelegt hat. Es ist keinesfalls so, dass Kinder und Jugendliche Leistung verabscheuen. Wer einmal Kinder beobachtet hat, mit welcher Energie und Geduld sie ihren Hobbys nachgehen, fragt sich, warum es der Schule so wenig gelingt, diesen Eifer und Elan auch im Unterricht „herauszukitzeln“. Anscheinend bietet der herkömmliche Unterricht mit seinen oft sehr eintönigen Routinen hochbegabten Kindern wenige Anreize, ihre überragenden Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen.

Erfolg in homogenen Lerngruppen

Der Schlüssel zur wirkungsvollen Förderung hochbegabter Schüler liegt in homogenen Lerngruppen. Wenn solche Schüler unter sich sind, sprühen ihre Geistesfunken, dass es eine Freude ist. Am neunjährigen Gymnasium (G 9) können diese Schüler in „Schnellläuferklassen“ unterrichtet werden. Studien belegen, dass Begabtenförderung mittels eigener homogener Klassenverbände besonders effektiv ist. Auch in fachlich geprägten Klassen, z.B. in Mathematik, Naturwissenschaften oder Sprachen, können hochbegabte Schüler besser lernen als in normalen Klassen. Manche Gymnasien bieten hochbegabten Schülern die Möglichkeit, sich stunden- oder tageweise aus dem regulären Unterricht zu befreien und besonders anspruchsvolle Aufgaben selbstständig zu lösen.  Außerschulische Lernorte sind für solche Zusatzaufgaben besonders gut geeignet.  Die meisten Universitäten bieten inzwischen ein „Juniorstudium“ an, das Gymnasiasten   zusätzlich zur Schule besuchen können. Erfahrungen mit dem vorgezogenen Studium zeigen, dass die teilnehmenden Schüler den Anforderungen des Studiums voll genügen, dass sie teilweise die regulären Studenten leistungsmäßig überragen. In einigen Bundesländern gibt es spezielle Fördermöglichkeiten für Hochbegabte in Sommercamps und Junior-Akademien.

Entscheidend ist ein Kulturwandel, eine Einstellung, die die Förderung hochbegabter Schüler nicht länger unter Eliteverdacht stellt. Neid und Missgunst gegenüber den Geistesakrobaten sollten der Vergangenheit angehören. Wenn Schulen ihre Hochbegabten fördern, färbt das auf die ganze Schule ab. Dann entsteht eine begabungsgerechte, intellektuelle Lernkultur. Nur ein leistungsfähiges Schulwesen kann dem Einzelnen persönliche Erfüllung und der Gesellschaft eine gedeihliche Zukunft garantieren.

Bildungspolitische Krähwinkelei

Die schulpolitischen Diskussionen in Deutschland muten manchmal erschreckend provinziell an. Der internationale Kontext, die Wissenskonkurrenz unter den Industriestaaten, wird völlig ausgeblendet. Der Bildungsvergleich mit den leistungsfähigsten Ländern der Erde macht deutlich, wie weit Deutschland inzwischen zurückgefallen ist. Bei der PISA-Vergleichsstudie von 2018 rangieren Deutschlands Schüler nur auf Platz 20. Unter den ersten zehn Ländern finden sich vier aus Asien. Bei der Anzahl der gemeldeten Patente ist Deutschland auf den 5. Platz zurückgefallen. An der Spitze liegen Japan, die USA und die VR China. Zwischen 1901 und 1918 ging in den Naturwissenschaften mehr als ein Drittel aller Nobelpreise an Forscher aus Deutschland. Goldene Zeiten! Zwischen 1990 und 2020 erhielten in den wichtigen Fachdisziplinen Physik, Chemie und Biochemie gerade mal sechs Wissenschaftler aus Deutschland die höchste internationale Auszeichnung. Wenn man sich jahrelang an den Schulen nur um „soziale Gerechtigkeit“ bemüht, muss man sich nicht wundern, dass man in der Leistungsfähigkeit des Schulsystems nach hinten durchgereicht wird. Irgendwann wird sich der Abschied vom schulischen Leistungsprinzip in einem niedrigeren Lebensstandard bemerkbar machen. Dann wird es für diejenigen, die in der Bildungspolitik nur die „soziale Gerechtigkeit“ verfochten haben, ein böses Erwachen geben.

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