Schulische Bildung lässt sich nicht nach den Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit organisieren.
Befragt man bei uns Bürger, wie die ideale Wirtschaftsordnung beschaffen sein sollte, antworten über 70 % der Befragten: „sozial gerecht“. Leistungsfähigkeit als ökonomisches Prinzip rangiert in der Werte-Skala unter „ferner liefen“. Dabei müsste doch jeder wissen, dass nur eine leistungsfähige Ökonomie die Ressourcen erwirtschaftet, die als Sozialausgaben ausgeschüttet werden können. In den letzten Jahren ist die Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit auch in einen Bereich eingesickert, wo sie lange nichts zu suchen hatte: in die Bildung. Auch die Schule soll sozial gerecht sein. Die Adepten dieses Anspruchs erhalten regelmäßig Schützenhilfe von der OECD und der Bertelsmann-Stiftung, die nicht müde werden, ein Bildungssystem zu fordern, bei dem – wie sie es griffig zuspitzen – die Herkunft der Eltern nicht länger über den Schulerfolg der Kinder entscheidet.
In der Sozialpolitik wird die soziale Gerechtigkeit durch Umverteilung realisiert. Die progressiv verlaufende Kurve der Einkommensteuer garantiert die Verteilungsmasse, aus der die sozialen Programme gespeist werden. Am jährlich veröffentlichten Armutsbericht kann man dann Erfolg oder Misserfolg ablesen. Doch wie kann man in der Bildung soziale Ungleichheit messen? Oder anders gefragt: Was ist in der Bildung gerecht? Umverteilung greift hier offensichtlich nicht. Geistesgaben und familiäre Förderung kann man nicht von einem Kind auf das andere umverteilen. Sozialdemokraten und Grüne haben sich eine besondere Agenda einfallen lassen, um das Ziel der Bildungsgleichheit zu erreichen: Die Umverteilung der Schüler. Nichts anderes intendiert die Gemeinschaftsschule. Die leistungsstarken Schüler werden in eine Lerngemeinschaft mit den leistungsschwachen gezwungen. Wenn die guten Schüler schon durch Begabung und /oder familiäre Sozialisation bevorteilt sind, sollen sie wenigstens nicht unter ihres gleichen die Schulbank drücken, sondern Bank an Bank mit den „sozial Benachteiligten“. Ich will nicht ausschließen, dass sozialdemokratische Bildungspolitiker tatsächlich glauben, bei dieser „gerechten“ Mischung der Kinder färbe etwas vom Leistungsvermögen der guten auf die schwachen Lerner ab. Meine langjährigen Erfahrungen an einer Gesamtschule haben mich eines Besseren belehrt. Auch an den neu gegründeten Sekundarschulen, die durch Fusion aus Haupt- und Realschule entstanden sind, überwiegt unter den Lehrkräften inzwischen die Skepsis. Schulleiter geben offen zu, dass sich die Realschüler eher dem Leistungsvermögen und dem Sozialverhalten der Hauptschüler angepasst haben als umgekehrt. Erst vor kurzem schrieben die Lehrer zweier Berliner Sekundarschulen einen Brandbrief an die Schulverwaltung, der einem Verzweiflungsschrei gleicht: „Rettet die Sekundarschule – die Nerven liegen blank. In unseren Klassen sitzen viele Kinder mit emotional-sozialen Störungen neben denen, die Abitur machen wollen.“ Die Lehrer beklagen, dass der nötige sonderpädagogische Förderbedarf nicht realisiert werden könne, weil es hinten und vorne an Lehrkräften und Sozialpädagogen fehle. In unserem Land ist es Mode geworden, von der Schule finnische Resultate zu fordern, ohne die finnischen Ressourcen bereit zu stellen. Deshalb sind die Gemeinschaftsschulen meistens Mogelpackungen, die gar nicht das einlösen können, was die utopischen Planer den Eltern versprochen haben.
Lehrer wissen, dass eine zu starke heterogene („gerechte“) Mischung einer Lerngruppe in der Regel zu Lasten der Leistung geht. Ich kenne kein Unterrichtsverfahren und kein Unterrichtsmaterial, die es schaffen könnten, die Kluft zwischen Hauptschülern hier und Abiturienten dort zu überbrücken. Die Gemeinschaftsschulen flüchten sich in die Individualiserung des Lernens. Der gemeinsame Lernprozess in der Gruppe wird fragmentiert, indem jeder Schüler seinem eigenen Lernprogramm folgt. Die Ironie dabei ist, dass eine Schulpolitik, die das „gemeinsame Lernen“ propagiert, im Mikrokosmos der Schule der Individualisierung und Vereinzelung der Schüler das Wort redet.
Da die Leistungen der Schüler in Gemeinschaftsschulen schlechter sind als die der Schüler im gegliederten System, verweigern sich die sozialdemokratischen Kultusminister einem vergleichenden Leistungstest. Sie ahnen, wie er ausfallen würde. Den Eltern, die sie mit dem Versprechen von Chancengleichheit in der „sozial gerechten“ Schule geködert haben, möchten sie die Risiken und Nebenwirkungen – den Leistungsabfall – am liebsten verschweigen. Im Rahmen der Kultusministerkonferenz kann man eine solche Blockade erfolgreich durchsetzen. Beim national verpflichtenden PISA-Test geht dies nicht. Wer etwas über den Leistungsstand der „gerechten“ Schulform erfahren will, muss deshalb bei den PISA-Ergebnissen nachschlagen. In allen drei PSA-Tests (2000, 2003 und 2006) schnitten die Bundesländer, die vor allem auf Gesamtschulen setzen, schlechter ab als die Bundesländer, die am gegliederten Schulwesen festgehalten haben. Interessant ist, dass sich das gute Abschneiden dieser Bundesländer, vor allem Bayern und Baden-Württemberg, auch im unteren Leistungssegment – sprich: bei den leistungsschwachen Schülern – positiv widerspiegelt. Die Leistungsorientierung an den Schulen dieser Länder kommt also letztlich allen Schülerpopulationen zugute, auch den Kindern aus sozial schwachen Familien oder mit Migrationshintergrund. Egalisierung schadet also der Leistung, Vielfalt nutzt ihr.
Dieser traurige Befund lässt die SPD-Bildungsplaner nicht ruhen. Sie suchen nach Wegen, den Makel schwacher Leistungen von sich abzuschütteln. Dabei verfallen sie auf Methoden, die an Manipulation grenzen. So genügen künftig in Sachsen-Anhalt 40% (statt bisher 50%) der erbrachten Leistungen für die Note „ausreichend“, in Berlin reichen 95% der Leistungen für die Note „sehr gut“. In allen SPD-regierten Ländern wurde die verpflichtende Grundschulempfehlung für den Wechsel auf die weiterführende Schule abgeschafft. Die Eltern sollen ermutigt werden, ihre Kinder auch dann aufs Gymnasium zu schicken, wenn die Leistungen in der Grundschule nicht dazu angetan sind. So soll der Leistungsanspruch der Gymnasien unterlaufen werden. Als kuriose Besonderheit gibt es in Berlin noch das Losverfahren für Plätze an besonders nachgefragten Oberschulen. Auf diesem Wege hofft man die erwünschte „soziale Durchmischung“ zu erreichen. Lehrer, die noch an ihren Beruf glauben, halten all dies für Irrwege, die letztlich nur kaschieren sollen, dass die Abkehr vom Leistungsprinzip in der Schule allen Schülern schadet.
Welche Schule ist nun „sozial gerecht“? Es ist die Schule, die es ermöglicht, dass alle Kinder ungeachtet ihrer Begabungen, ihrer in der Familie erworbenen Fertigkeiten und Motivationen und ihrer sozialen und ethnischen Herkunft die bestmöglichen Lernerfolge erzielen können. Nach allem, was man über erfolgreiche Lernprozesse weiß, kann dies nur in homogenen Lerngruppen gelingen. Deshalb ist die Flucht in die Einheitsschule ein Irrweg, der den Eltern etwas vorgaukelt, was diese Schulform nie und nimmer erfüllen kann.